ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt und den Umgang mit Betroffenen in der Ev. Kirche
Am 25. Januar 2024 wurde die unabhängige ForuM-Studie veröffentlicht. Ihr Ziel: Licht bringen in die Abgründe sexualisierter Gewalt im Rahmen der Ev. Kirche. Bei der live übertragenen zweistündigen Pressekonferenz sprachen die EKD-Ratsvorsitzende, Forscher:innen und betroffene Personen. Zu den Betroffenen gehörte Detlev Zander. Er sagte „Heute ist für die ev. Kirche und die Diakonie Deutschland ein rabenschwarzer Tag. Eigentlich sollten heute sämtliche Glocken läuten und die Fahnen auf Halbmast stehen. Für die Betroffenen ist es ein guter Tag, denn die Betroffenen warten seit Jahren auf so eine Studie. […] Ich bin froh, dass die Betroffenen in dieser Studie im Mittelpunkt standen.“ Der Umgang mit ihnen sei in der Vergangenheit unerträglich und verletzend gewesen.
Die Studie war von der Ev. Kirche für 3,6 Mio. Euro in Auftrag gegeben worden. Sie sollte institutionelle Mechanismen und evangelisch-spezifische Phänomene, so der Forschungsleiter Prof. Martin Wazlawik, darstellen. In Interviews mit mehr als 100 von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen, zudem Gesprächen mit Amtsträger:innen und Kirchenmitarbeitenden sowie der Durchsicht von zahlreichen (aber nicht allen) Akten erforschten die Wissenschaftler:innen z. B. wie es zur Gewalt kommen konnte, wie mit den Menschen, die sich gemeldet haben, umgegangen wurde, was nach den Meldungen geschah. Überall zeigte sich großes Versagen. Es gab z. B. die Erfahrung von Betroffenen, dass engagierte Mitarbeitende sie unterstützten und betreuten, solange die Beschädigung der ev. Einrichtung, Organisation oder Personen nicht zu befürchten war. Wenn doch, setzte „institutionelle Trägheit“ ein, wurden Rückmeldungen verschleppt, auf juristische Schwierigkeiten verwiesen, betroffene Personen als krank wahrgenommen. Manche Betroffene wurden sehr schnell aufgefordert, zu vergeben, ohne dass die begangenen Taten wirklich verfolgt und geahndet wurden. Von Harmoniebedürfnis und mangelnder Konfliktkultur in der ev. Kirche spricht die Studie ebenso wie von problematischen Strukturen, die es möglich mach(t)en, die eigene Leitungsverantwortung von sich wegzuschieben. Traumatisierte Menschen erlebten eine zweite Traumatisierung, verloren ihre kirchliche Heimat, ihren Glauben, sahen keine andere Möglichkeit mehr, als ihr Lebensumfeld zu verlassen.
Von 2225 Fällen seit Kriegsende war im Pressegespräch die Rede, von 1259 beschuldigten Personen, 511 davon Pfarrer:innen, die meisten männlich, zu zwei Dritteln verheiratet. Vermutlich liegen die Zahlen deutlich höher. Die Kirche hätte Betroffenen sofort Glauben schenken und direkt nachforschen müssen, wenn es auch nur eine Meldung zu einer Person gab. Denn in 45 Prozent der gemeldeten Fälle finden sich Serientaten mit im Schnitt fünf Betroffenen. Geistliche hätten ihre Pastoralmacht, ihrer Sprachkompetenz und Beziehungsnähe in der Seelsorge ausgenutzt.
Ein deutlicher Risikofaktor ist die ausgeprägt föderale Struktur der evangelischen Kirche. Das beginnt beim unterschiedlichen Protokollieren des Erstkontaktes mit betroffenen Personen bis hin zu unterschiedlichen Anerkennungsleistungen der Landeskirchen.
Nie habe es von Seiten der Kirche und der Diakonie einen initialen Aufarbeitungswunsch gegeben. Immer haben Betroffene darauf dringen müssen. Erst seit dem Jahr 2018 thematisierte die EKD sexualisierte Gewalt. Vorher wurde sie zu Unrecht hauptsächlich als katholisches Problem des Zölibats und konservativer Sexualmoral verstanden, als gesamtgesellschaftliches Problem, das eben auch die Kirche betreffe, oder als historisch bedingt betrachtet, etwa als Problem der Heimerziehung oder in Zeiten der Liberalisierung des Sexualdiskurses in der 60er und 70er Jahren.
Prof. Watzlawik sagte jedoch auch „Wir haben immer wieder Menschen, die sich glaubwürdig einsetzen für Prävention. Wir wollen nicht unerwähnt lassen […], was sich in den letzten zwei Jahren getan hat.“ Aber es brauche viel Energie, Kraft und Thematisierung, damit hinsichtlich der tief verankerten Strukturen und evangelischen Kulturen eine Veränderung und eine angemessene und wirksame Übernahme von Verantwortung stattfinde.
Weitere Informationen
Die Ergebnisse der ForuM-Studie werden auf EKD-Ebene zusammen mit den Betroffenen im Beteiligungsforum ausgewertet. Die Auswertung wird auf der EKD-Synode November 2024 veröffentlicht. Dabei geht es auch darum, aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen als ev. Kirche die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Zeitgleich sollen regionale Aufarbeitungsstudien begonnen werden zu Fällen in Kirchenkreisen und Gemeinden.
Die 870 Seiten lange Studie und eine 39seitige Zusammenfassung findet sich auf www.forum-studie.de.
Im Kirchenkreis Moers und Gemeinden gibt es seit dem Juni 2021 ein Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Hierin sind Risikoanalysen z.B. für alle Gebäude erstellt worden. Polizeiliche Führungszeugnisse werden von allen Mitarbeitenden verlangt, die Teilnahme an den angebotenen Präventionsschulungen ist für alle haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden verpflichtend. Vertrauenspersonen nehmen Meldungen von Betroffenen oder über Beobachtungen entgegen. Ihre Kontaktdaten sind über Plakate in Gemeinderäumen, ausliegenden Visitenkarten und www.kirche-moers.de leicht zu finden. Jeder Meldung wird nachgegangen.